Corona und Häusliche Gewalt: Ansturm auf das Frauenhaus

 

Die Corona-Pandemie hat das Problem häusliche Gewalt noch mal verschärft. Das wirkt sich auch auf die Belegung des Friedberger Frauenhauses und auf den Alltag dort aus.
 
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Plötzlich ist der schlagende Ehemann und Papa die ganze Zeit zu Hause: Die Pandemie verschärft das Problem häusliche Gewalt. Illona Geupel, Leiterin des Friedberger Frauenhauses, berichtet.

 

Den Einkauf mit Mann und Kind hat die Frau genutzt. Sie nahm ein Euro-Stück mit, gab es dem Mann, der es in den Einkaufswagen steckte und alleine einkaufen ging. Die Frau tat so, als würde sie mit dem Kind im Auto warten. Stattdessen fuhren beide davon. Weg vom Mann, der gewalttätig ist und in Corona-Zeiten im Homeoffice sitzt, also noch mehr Möglichkeiten zum Schlagen hat. Die Frau hatte Glück, bekam mit ihrem Kind einen Platz im Friedberger Frauenhaus.

Dessen Leiterin Illona Geupel blickt auf sehr fordernde Monate zurück. Die Gewalt, die es in Häusern und Wohnungen schon vorher gegeben hatte, ist in den vergangenen Corona-Monaten eskaliert. Anfang April habe der Verein "Frauen helfen Frauen", Träger des Frauenhauses und der Beratungs- und Interventionsstelle, vier weitere Wohnungen für acht Personen angemietet, Mitte April seien alle Plätze belegt gewesen, sagt Geupel. Sie geht davon aus, dass sich mit dem ersten Lockdown viele Frauen gedacht haben: "Wenn ich es jetzt nicht schaffe, von ihm wegzukommen, dann gelingt es mir nicht mehr."

Homeoffice, Beschulung von zu Hause aus, geschlossene Kitas, Spielplätze, die nicht betreten werden durften, Kurzarbeit, Angst vor dem Job-Verlust - der erste Lockdown hat das Leben vieler Menschen auf den Kopf gestellt. "Es hat sich ja alles überschlagen", sagt Geupel. "Viele Menschen mussten auf engstem Raum permanent miteinander klarkommen." Die Folgen: massive Überforderung - und Gewalt.

Viel Einsatz, massenweise Überstunden

Gewalttätige Männer waren plötzlich fast nur noch zu Hause, und für die Frauen schlossen sich die Fenster für Fluchtmöglichkeiten. Hätten sie früher den Weg mit dem Kind zur Schule dafür nutzen können, beim Frauenhaus Zuflucht zu suchen, so fiel diese Option wegen der Beschulung am heimischen Küchentisch weg. In solchen Situationen kommt man auf die Idee, beim Einkaufen zu flüchten - so wie die erwähnte Mutter mit ihrem Kind. "Hut ab, wenn einem so etwas als Notausstieg einfällt. Aber wie traurig ist es, dass einem so etwas einfallen muss?", sagt Illona Geupel.

Der Ansturm auf das Frauenhaus im Frühjahr musste vom Team bewältigt werden. Mit großem Einsatz und massenweise Überstunden ist es gelungen. Die Kinder im Frauenhaus brauchten Laptops für den Online-Unterricht. Da halfen Spenden ebenso wie beim Einstellen studentischer Hilfskräfte für die Hausaufgabenbetreuung. Wegen Corona müssen die Kinder einzeln unterstützt werden. Anträge mussten aus dem Netz heruntergeladen werden, die Dolmetscherkosten schnellten in die Höhe, da man wegen der Übersetzung via Videokonferenz auf teurere Büros zurückgreifen musste.

Bisher kein Corona-Fall im Friedberger Frauenhaus

Mit dem Verstehen der Corona-Regeln im Haus lief es bisher ganz gut. Auch wenn das Abstandhalten schwierig ist, wie Geupel erläutert. Denn auf jeder Etage leben drei Familien, die jeweils gemeinsam eine Küche und ein Bad nutzen. Die Frauen und die größeren Kinder seien in Sachen Hygiene vorbildlich, sagt die Leiterin. Es gebe viel Info-Material in verschiedenen Sprachen. "Wir müssen es halt ständig anpassen." Zwei Drittel der Frauen sprächen auch schon ganz passabel Deutsch. Und unter den Kolleginnen gebe es eine Sprachenvielfalt. Stichwort Sicherheit: Anfang Dezember kamen Corona-Schnelltests.

"Es war schon sehr spannend, sehr herausfordernd. Und wir sind ausgesprochen glücklich, dass wir es bisher unbeschadet überstanden haben", sagt Geupel. Einen Corona-Fall habe es im Friedberger Frauenhaus nicht gegeben.

Online-Beratung mit Rettungsankern

Und wie ist die Stimmung unter den Müttern und Kindern? Anfangs habe sie sich Sorgen gemacht, weil das Verhältnis der Frauen untereinander sehr angespannt gewesen sei, sagt Geupel. Doch es sei keine auf die andere losgegangen. Im Gegenteil: "Die Frauen haben sich sehr unterstützt." Das Gefühl, vom gewalttätigen Mann weg zu sein, überwiegt die Sorgen vor Enge und Ansteckung im Frauenhaus.

Damit Frauen der Gewalt zu Hause auch in Pandemie-Zeiten entkommen können, baut das Frauenhaus-Team ab Januar seine Online-Beratung unter www.frauenhaus-wetterau.de aus. Neben dem Datenschutz sind vor allem zwei Dinge wichtig: Es muss einen Schnellausstieg aus dem Programm geben - für den Fall, dass der Mann plötzlich ins Zimmer kommt. Zweitens darf der Mann hinterher nicht nachvollziehen können, mit wem seine Frau da Kontakt aufgenommen hat.

15 Kinder, 9 Frauen, 10 Nationen

Im April hat der Verein "Frauen helfen Frauen" die Kapazität des Frauenhauses von 24 auf 32 Plätze aufgestockt. "Weil die Nachfrage extrem hoch war", sagt Frauenhaus-Leiterin Illona Geupel. Der personelle Umfang habe sich nicht erhöht. Die Folge: viele Überstunden, wenig Urlaub. Derzeit leben 15 Kinder und neun Frauen aus zehn Nationen im Frauenhaus. Die im April geschaffenen acht zusätzlichen Plätze laufen zum Jahresende aus. Die vier Zimmer, jeweils mit kleiner Küche und Bad, seien durchgehend belegt gewesen, sagt Geupel. Wobei immer ein Zimmer für den Fall der Quarantäne freigehalten worden sei. Ab Januar kann eine Ferienwohnung genutzt werden. Sie ist dafür gedacht, einer möglichen neuen Bewohnerin eine Quarantäne zu ermöglichen. Um Frauenhaus und Beratungs- und Interventionsstelle kümmern sich acht Frauen in Teilzeit - plus Aushilfskräfte. Ziel ist es, dass die Bewohnerinnen und ihre Kinder irgendwann den Sprung in eine Wohnung schaffen, doch die Wohnungsnot macht sich bemerkbar. Es haben auch schon Menschen zwei Jahre lang im Frauenhaus gewohnt, beklagt Illona Geupel. "Das ist doch total am Thema vorbei."

 

Christoph Agel, Wetterauer Zeitung

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