Eckpunktepapier zur Finanzierung der Hilfestrukturen für von Gewalt betroffene Frauen und ihren Kindern

bff veröffentlicht gemeinsam mit ZIF und dem Paritätischen ein Eckpunktepapier zur Finanzierung der Hilfestrukturen für von Gewalt betroffene Frauen und ihren Kindern

 

Die Finanzierung der Hilfestrukturen1 zur Prävention und zur Verhinderung von sexualisierter und häuslicher Gewalt an Frauen und Mädchen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der sich alle staatlichen Ebenen beteiligen müssen, d. h. Bund, Länder und Kommunen.2 Bisher sind die Strukturen unterfinanziert und die Versorgung weist Lücken auf, mehr finanzielle Mittel und bessere Regelungen der Förderung sind dringend geboten.


Für die Einrichtungen und Träger hat eine einzelfallunabhängige, nachhaltige, dauerhafte und verlässliche Finanzierung als staatliche Leistung oberste Priorität. Es bedarf eines bundesweit einheitlichen Rahmens, der die bestehenden Strukturen der Länder berücksichtigt und eine auskömmliche Finanzierung des Gewaltschutzes in ganz Deutschland sicherstellt. Die unterschiedlichen Regelungen der einzelnen Bundesländer müssen dringend der Vergangenheit angehören. Dies gilt insbesondere mit Blick auf Finanzierungsmodelle in Form von einzelfallbezogenen Leistungen. Gewaltschutz darf weder eine individuelle Sozialleistung noch eine freiwillige Leistung sein, die vom Gusto der politischen Entscheidungsträger*innen abhängt. Zu diesem Schutz gehören auch Tätigkeiten unabhängig vom Einzelfall, die der Sensibilisierung zu und Prävention von geschlechtsbezogener Gewalt dienen, bislang aber in finanziellen Zuwendungen kaum oder gar nicht berücksichtigt werden.


Mit dem vorliegenden Papier haben sich der Paritätische Gesamtverband, die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) sowie der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) auf erste gemeinsame Eckpunkte zur Finanzierung der Hilfestrukturen für von Gewalt betroffene Frauen und ihren Kindern verständigt. Das Papier richtet sich an alle politisch Verantwortlichen auf der Ebene des Bundes, der Länder sowie der Kommunen. Die beteiligten Organisationen wollen mit diesem Papier einen Beitrag für die politische Debatte um die zukünftige Ausgestaltung der Hilfestrukturen in Deutschland leisten.


Wir fordern
- eine einzelfallunabhängige, bundeseinheitliche Finanzierung aller Angebote der Hilfe- und Unterstützungsstrukturen auf gesetzlicher Grundlage!

Frauen muss in allen Bundesländern ein möglichst ähnlicher Standard an Prävention und Schutz vor Gewalt zur Verfügung stehen. Eine flächendeckende und auskömmlich finanzierte Infrastruktur der Beratung und Unterstützung von
gewaltbetroffenen Frauen wäre ein entscheidendes Signal für das Empowerment von Frauen insgesamt. Das Thema Gewaltschutz würde endlich seine Nischenstellung verlassen. Eine gesetzliche Grundlage wäre ein klares Signal und würde einen verlässlichen Rahmen schaffen. Es würde deutlich: Gewaltschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht das Problem einzelner Personen. Eine einzelfallunabhängige, bundeseinheitliche Finanzierung ist das favorisierte Mittel unserer Wahl.


- die Gewährleistung eines niedrigschwelligen und bundeslandübergreifenden Zugangs zu Hilfe und Unterstützung unabhängig von strukturellen und regionalen Unterschieden!
Wir sind überzeugt, dass gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder unabhängig vom Wohnort umfassende Unterstützung erfahren sollten. Egal ob in Ost oder West, Nord oder Süd, ob in der Stadt oder auf dem Land. Gewaltschutz darf keine Frage des Wohnortes, der Zuständigkeit oder von Landesgrenzen sein. Nur durch eine bundeseinheitliche, einzelfallunabhängige und bedarfsgerechte Finanzierung kann der niedrigschwellige Zugang zu Schutz und Unterstützung über Stadt- und Landgrenzen hinweg ohne Einschränkungen gewährleistet werden. Räumlicher Abstand ist für viele Betroffene der erste Schritt in ein neues, gewaltfreies Leben. Gewaltbetroffene Frauen müssen selbst bestimmen können, wo sie Schutz und Unterstützung suchen und wie weit dieser Schutz von ihrem bisherigen Wohnort entfernt liegt. Beratung und Unterstützung an einem anderen Ort als dem Heimatort fühlt sich für viele Frauen sicherer und tatsächlich anonym an. Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen sind Einrichtungen mit überregionalem Charakter.


- eine gesetzlich verbindliche Regelung für Schutz und Hilfe bei geschlechts-bezogener Gewalt!
Wir fordern gesetzlich verbindliche Regelungen, die sich an den Vorgaben der Istanbul-Konvention orientieren und damit Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder konkret und nachhaltig absichern. Eine einfachgesetzlich verankerte Regelung hat den Vorteil, dass alle Gewaltbetroffenen entsprechend der Konvention einen Anspruch auf Schutz und Hilfe hätten. Eine gesetzlich verbindliche Regelung darf nicht zu einem Finanzierungskonzept führen, das sich am Einzelfall orientiert. Gewaltschutz ist eine Aufgabe in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung. Wir gehen daher davon aus, dass in diesen politisch bewegten Zeiten eine verlässliche Finanzierung, verbunden mit einer belastbaren gesetzlichen Regelung, die niemand wegdiskutieren oder von der politischen Agenda streichen kann, das richtige Signal von den verantwortlichen demokratischen Kräften wäre.

 

- eine angemessene Ausstattung von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen mit Personal- und Sachmitteln!
Eine bedarfsgerechte Finanzierung der Einrichtungen des Gewaltschutzes und der Zugang für alle von Gewalt betroffenen Frauen ist für uns nicht verhandelbar. Deutschland hat hier im Zuge der Ratifizierung der Istanbul-Konvention eine ausdrückliche Verpflichtung übernommen. Deutschland verpflichtete sich u.a., „Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen sowie einen umfassenden Rahmen sowie umfassende politische und sonstige Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung aller Opfer von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu entwerfen.“3


Dazu gehört aus unserer Sicht ganz konkret der bedarfsgerechte und barrierefreie Ausbau der Einrichtungen des Gewaltschutzes, kurzfristig initiiert durch das Bundesinvestitionsprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“. Langfristig müssen die Strukturen aber auch durch eine einzelfallunabhängige Finanzierungsgrundlage abgesichert sein, um den bestehenden Betrieb zu sichern. Das bedeutet für Frauenhäuser die Implementierung von Pauschalen für Platz-, Personal-, Sach- und Hauskosten. Für Fachberatungsstellen bedeutet das eine fallunabhängige Förderung der Institution als Ganzes mit all ihren Aufgaben – sowohl für die Unterstützung von Betroffenen und ihren Bezugspersonen, also auch für Präventions-, Fortbildungs-, Sensibilisierungs- und Netzwerkarbeit.


Ebenso wie die direkte Unterstützung gewaltbetroffener Frauen, deren Kinder und Bezugspersonen müssen auch die Tätigkeiten in den Bereichen Prävention, Fortbildung und Sensibilisierung relevanter Berufsgruppen sowie Vernetzung auskömmlich finanziert werden. Nur durch diese übergeordneten Tätigkeiten kann langfristig eine gesellschaftliche Veränderung im Sinne der Beseitigung der Gewalt gegen Frauen erreicht werden.


- die Sicherstellung einer qualifizierten Hilfe für alle von Gewalt betroffenen Frauen und deren Kinder sowie eine Rücknahme der Vorbehalte gegen die Istanbul Konvention!
Der niedrigschwellige Zugang zu Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen ist essenziell. Er muss für alle gewaltbetroffenen Frauen und deren Kinder erreichbar sein, unabhängig von sozialer oder ethnischer Herkunft, Alter, Religion oder Weltanschauung, sexueller und geschlechtlicher Identität, materieller Situation, Behinderung, Beeinträchtigung, Pflegebedürftigkeit oder Krankheit. Die Ausgestaltung der Strukturen des Gewaltschutzes ist für uns deshalb mehr als eine reine Qualitätsfrage. Der Zugang besitzt eine Schlüsselfunktion, weshalb beispielsweise die deutschen Vorbehalte zur Istanbul-Konvention zurückgenommen werden müssen.


- die Finanzierung eines bedarfsgerechten und barrierefreien Ausbaus der Unterstützungsstrukturen!
Ein barrierefreier Zugang zu Unterstützung und Hilfe ist für alle Menschen, aber insbesondere für Mädchen und Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen erforderlich. Sie sind aufgrund ihrer Vulnerabilität in besonderem Maße von körperlicher, sexualisierter und psychischer Gewalt betroffen. Sie brauchen das Wissen um die Angebote der Gewaltschutzeinrichtungen, sowie die Ermutigung, diese auch in Anspruch zu nehmen.


Hierzu sind fachliche Konzepte zu entwickeln und, orientiert an den bestehenden
Strukturen der Länder, umzusetzen. Dem Leitgedanken der Inklusion im Grundsatz folgend, sind dazu folgende Eckpunkte relevant: niedrigschwelliger und barrierefreier Zugang zu Information und Beratung über Telefon und Internet; flächendeckendes qualifiziertes Angebot der persönlichen Beratung in Frauenberatungsstellen und Frauennotrufen, inkl. der Möglichkeit der aufsuchenden Beratung und der sichere, schnelle, unbürokratische und barrierefreie Zugang zu einem geeigneten Frauenhausplatz für alle von Gewalt betroffenen Frauen und deren Kinder.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Gewaltschutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, zu deren Verwirklichung alle gesellschaftlichen Akteur*innen, die sich seit Jahrzehnten mit diesem Thema befassen, zu beteiligen sind.

 

 

1 Damit gemeint sind in erster Linie Frauenhäuser, Schutzwohnungen, Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, Interventionsstellen.
2 Mit Frauen sind grundsätzlich alle Frauen und Mädchen gemeint und inkludiert somit auch trans Frauen und intergeschlechtliche Menschen, die in der weiblichen Geschlechtsrolle leben. Diese Definition beinhaltet zudem jegliche Akzeptanz von Lebensformen und sexueller Orientierung jenseits heteronormativer Entwürfe.

3 Art. 1, I a und c Istanbul-Konvention.

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