Raus aus der Hölle: Wenn das Frauenhaus die Rettung ist
In Friedberg bietet das Frauenhaus Frauen und Kindern Zuflucht. Illona Geupel, Susanne Klein und ihr Team kümmern sich. Sie haben viel zu erzählen über Angst, Druck und Gewalt.
Wir treffen uns hier in der Beratungsstelle. Die Adresse des Frauenhauses wird geheim gehalten. Gibt es dennoch Männer, die dort auftauchen und Probleme bereiten?
Illona Geupel: Es gab schon Fälle, in denen Männer das rausbekommen haben – wie auch immer. In der Regel verständigen wir dann sofort die Polizei. Wir haben keine Schlüssel für das Haus, sondern Sicherheitskarten, so dass auch keine Nachschlüssel in Umlauf gebracht werden können. Rund ums Haus haben wir Bewegungsmelder installiert.
Susanne Klein: Gleich bei der Aufnahme gibt es Aufklärungsgespräche. Die SIM-Karte muss ausgewechselt werden – wegen der Ortung. Eine Auskunftssperre muss eingerichtet werden. Wenn tatsächlich bekannt ist, wo sich eine Frau befindet, wird sie von uns verlegt. Auch zum Schutz der anderen Frauen und zum Schutz des Frauenhauses,
Geupel: Und der Mitarbeiterinnen. Männer, die so weit gehen, dass sie in der Öffentlichkeit Grenzen überschreiten, sind einfach unberechenbar. Das haben wir im Laufe der Jahre gelernt, aber wir leben auch jeden Tag damit.
Ist Besuch gar nicht vorgesehen? Von den Eltern zum Beispiel?
Geupel: Nein.
Klein: Natürlich fragen Frauen immer mal, ob ihre Mutter oder eine Freundin mal kommen dürfen. Wir sagen "nein". Das soll extern organisiert werden.
Wie funktioniert das mit den Kindern? Gibt es da die Gefahr, dass sie in der Schule erzählen, wo sie gerade wohnen?
Geupel: Die Gefahr gibt es immer, aber den Kindern ist sehr bewusst, dass sie vor Gewalt fliehen. Die Schule ist ebenfalls informiert. Die Lehrer reden darüber, dann gibt es auch in der Klasse keine Nachfrage "Kann ich dich besuchen?". Ein Frauenhaus ist eigentlich nur eine Übergangslösung. Wir schauen, dass die Frauen und Kinder möglichst schnell eine Wohnung finden und in ein eigenes gewaltfreies Leben durchstarten können. Der Wohnungsmarkt eröffnet diese Möglichkeiten aber nicht.
Klein: Die Hürden sind sehr multibel. Wir haben Frauen, die über ein Jahr in unserem Haus bleiben, was eigentlich gar nicht geht.
Kommen die Frauen aus dem Wetteraukreis, oder ist es gerade Sinn der Sache, dass sie von woanders her kommen und umgekehrt Wetterauerinnen an einem anderen Ort untergebracht werden? Es wäre doch schwierig, wenn der Mann drei Straßen weiter wohnen würde, oder?
Wir haben auch Frauen, die 20 Jahre zu Hause eingesperrt waren
Susanne Klein
Geupel: Das wäre als Notaufnahme für eine Nacht durchaus denkbar, aber wir würden sofort in die Weitervermittlung gehen. Wir haben hessenweit und darüber hinaus ein sehr gutes Netzwerk aus Frauenhäusern und eine Liste mit freien Plätzen in Hessen. Momentan ist es mal wieder ziemlich eng.
Wie funktioniert das Miteinander unter den Bewohnerinnen?
Klein: Das funktioniert sehr gut. Es gibt auch Konflikte, weil die Frauen sehr angespannt sind, teilweise auch kulturelle Konflikte. Aber zu 80 Prozent herrscht da eine ungemeine Solidarität. Die Frauen übernehmen auch Notdienste. Sie haben alle das gleiche Schicksal, sie stehen alle vor einem Nichts, wollen neu anfangen – oder schwanken.
Ist es weit verbreitet,dass Frauen den Männern eine zweite Chance geben?
Klein: Es gibt viele Frauen, die nichts anderes kennen. Zuwendung ist durch Gewalt passiert – von Kindheit an. Und es gibt ganz große Abhängigkeitskonstrukte. Wir haben auch Fälle, in denen die Söhne das Verhalten des Vaters übernommen haben. Die Frauen erfahren dann also auch noch Druck von ihren Söhnen. Es gibt nach unserem Geschmack viel zu viele Frauen, die irgendwann sagen: "Ich gehe doch wieder zurück." Aber es gibt auch viele Frauen, die den Weg schaffen. Frauen sind oft gut auf ein selbstständiges Leben vorbereitet. Es scheitert dann an einer Wohnung.
Geupel: Und das zermürbt. Der Wohnungsmarkt ist so angespannt, der Mietspiegel so gestiegen.
Sie haben es angesprochen, dass auch Söhne Druck ausüben. Aber ist in den meisten Fällen nicht der Ehemann das Problem?
Sehr belastend ist die Zunahme der Gewalt über Soziale Medien. Wenn die Köpfe der Frauen auf Sexseiten montiert werden
Illona Geupel
Geupel: Es sind auch manchmal Familien. Wir hatten immer wieder Frauen, die von Ehrenmord bedroht waren oder über ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurden. Das sind Frauen, die übergangsweise im Frauenhaus leben müssen, um Schutz zu haben vor ihren Misshandlern. Da haben wir die ganze Bandbreite von Gewalt gegen Frauen. Es ist nicht immer der Ehemann.
Klein: Zumal das mit der Vielfalt der Kulturen sicher zugenommen hat. Letztendlich kristallisiert sich immer heraus, dass da eine ganze Community dahintersteht.
Geupel: Umso wichtiger ist es, dass wir die Frauen gleich bei der Aufnahme darauf hinweisen, sich den Sozialen Medien erstmal fernzuhalten, weil man darüber ganz schnell seinen Aufenthaltsort unbeabsichtigt verraten kann. Natürlich möchten die Frauen den Kontakt zu den Familienangehörigen halten, von denen sie ausgehen, dass sie nicht gefährlich sind oder dass sie unterstützt werden. Was sie häufig übersehen: Diese Menschen werden von den Gewalttätern unter Druck gesetzt. Sehr belastend ist die Zunahme der Gewalt über Soziale Medien. Wenn die Köpfe der Frauen auf Sexseiten montiert werden. Da wird ein Druck aufgebaut – richtig schlimm.
Wie ist es denn im analogen Leben? Wenn die Frauen rausgehen?
Klein: Wir gehen davon aus, dass sich die Frauen selbstständig versorgen. Es gibt Frauen, die da mehr Unterstützung brauchen, und es gibt solche, die sich die ersten ein, zwei Wochen nicht nach draußen trauen. Wir haben auch Frauen, die 20 Jahre zu Hause eingesperrt waren und mich fragen, wie in Deutschland ein Briefkasten aussieht. Aber die meisten gehen mit ihren Kindern raus.
Sind Frauen heutzutage nicht mehr so abhängig von ihrem Mann und suchen deshalb eher nach einem Ausweg und verlassen ihn?
Klein: Obwohl man sagt, dass Frauen wesentlich autonomer geworden sind, gibt es erschreckend viele Frauen, die in diesem System Gewalt bleiben – aus sehr multiplen Gründen. Es ist unheimlich viel Scham dabei.
Inwiefern versagt die Gesellschaft? Wird zu wenig hingeschaut?
Klein: Ich denke, es gibt auf vielen Ebenen viele Anstrengungen. Wenn einer Frau Gewalt widerfährt, dann ist nicht nur sie betroffen, sondern es sind auch die Kinder. Und Gesellschaft hat Verantwortung für Kinder.
Geupel: Menschen haben ein gutes Gewissen, weil sie wissen, es gibt Frauenhäuser. Ob diese Häuser ausreichend finanziert sind, das interessiert überhaupt nicht. Das ist ein gesellschaftliches Thema, dem sich Hessen sehr gut gestellt hat. Aber es gibt keine bundeseinheitliche Finanzierung. Es ist immer noch ein individuelles Problem von Frauen. Da muss Gesellschaft nachbessern. Es gibt in Deutschland keinen Rechtsanspruch für Frauen, sich in Sicherheit zu bringen.
Info
Das Frauenhaus in Zahlen
54 Frauen und 91 Kinder sind im vergangenen Jahr im Friedberger Frauenhaus untergekommen. Betrachtet man die Zahlen seit 2010, dann sticht das Jahr 2011 heraus, als 101 Frauen und 126 Kinder Zuflucht gefunden haben. Die Wohnraumsituation habe die Verweildauer der Frauen massiv verlängert, erklärt Susanne Klein. So blieben Frauen vor einigen Jahren im Schnitt drei bis sechs Monate im Friedberger Frauenhaus, inzwischen ist es teilweise bis über ein Jahr. In Einzelfällen, insbesondere bei Müttern mit drei oder vier Kindern, geht es weit darüber hinaus. "Natürlich gibt es auch die Kurzaufenthalte von 2 bis 14 Tagen", teilt Klein mit. Das Haus verfügt über neun Frauen- und maximal 15 Kinderplätze. Diese sind auf drei Etagen verteilt. Drei Frauen teilen sich ein Stockwerk mit Gemeinschaftsraum, Küche und Bad. Seit 1987 gibt es das Frauenhaus – zunächst in Bad Nauheim, seit 1995 in Friedberg. Die Beratung- und Interventionstelle existiert seit 2004 in Friedberg, vorher fand die Beratung meist in öffentlichen Räumen statt. Außer im Vogelsbergkreis gibt es in allen hessischen Landkreisen Frauenhäuser. In der Beratungs- und Interventionsstelle haben 2017 insgesamt 101 Menschen Hilfe gesucht. (agl)