Justiz: Geldauflage statt Verurteilung

Richterinnen und Richter sind qua Grundgesetz in ihrer Entscheidung frei - auch bei der Frage der Zuweisung von Geldauflagen. FOTO: DPA

20.02.2023

Wetterauer Zeitung

 

Manche Strafverfahren können gegen die Zahlung einer Geldauflage eingestellt werden. Dieses Geld verteilt die Justiz an gemeinnützige Einrichtungen. Gelten für die Vergabe bestimmte Kriterien?

 

Die Justizbehörden sind überlastet. Um langwierige Prozesse im Bereich der kleinen oder mittleren Kriminalität zu vermeiden, können diese gegen eine Geldauflage eingestellt werden. In einer gemeinsamen Kooperation von CORRECTIV.Lokal und dieser Zeitung zeigt sich, dass zwischen 2007 und 2021 im Wetteraukreis zahlreiche Vereine und Einrichtungen bedacht wurden. Den Empfänger des Geldes kann die Justiz frei wählen - wobei die Entscheidung an Kriterien gebunden ist, wie Vertreter der Gießener Justiz sagen, in deren Aufgabenbereich auch die Wetterau fällt.

 

In der Strafprozessordnung regelt der Paragraf 153a, wann die Justiz von einer Strafverfolgung absehen kann. Dieser kommt zum Tragen, wenn ein nahender Prozess sehr wahrscheinlich den Nachweis einer geringen Schuld erbringen wird. Oft geht es um Verfahren wegen Diebstahls, Körperverletzung oder Beleidigung, die gegen die Zahlung einer Geldauflage eingestellt werden. Voraussetzung ist eine Verständigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Beschuldigtem.

Diese Geldauflage ist auf mehrfache Weise charmant: Überlastete Staatsanwaltschaften und Gerichte sparen sich Arbeit, der Steuerzahler Geld. Und der Beschuldigte erspart sich einen öffentlichen, in der Regel für ihn unangenehmen Prozess. Die Schuldfrage wird in solchen Fällen gerichtlich nicht abschließend entschieden.

Oft mit Bezug zum Tatvorwurf

An wen dieses Geld fließt, entscheiden Richter sowie Staatsanwaltschaft - wenn der Beschuldigte zustimmt. In der Regel werden gemeinnützige Vereine oder Institutionen bedacht. In ihrer Entscheidung sind die Gerichte frei, teilen auf Anfrage Amtsgericht und Landgericht Gießen mit. Über allem stehe die richterliche Unabhängigkeit, sagt Dr. Alexander Schmitt-Kästner, Sprecher des Landgerichts. Diese ist im Grundgesetz verankert und bedeute auch, dass die Richter niemandem Rechenschaft schuldig sind, an wen das Geld geht.

Selbst wenn ein Richter das Geld dem Verein zuweist, bei dem er als Jugendlicher Handball gespielt hat, ist dies kein Verstoß gegen Recht und Gesetz. Anders sieht es aber im Fall eines Richters in Baden-Württemberg aus, der im Januar diesen Jahres verurteilt wurde. Er hatte aus Sicht des Gerichts regelmäßig Geldauflagen an einen Fußballverein gezahlt, in dem sich ein ihm bekannter ehemaliger Polizist engagierte. Im Gegenzug revanchierte sich dieser mit Einladungen zum Essen.

Schmitt-Kästner betont, dass bei den vom Landgericht weitergegebenen Geldauflagen in der Regel ein Bezug zum Thema des Verfahrens hergestellt werde. Dies betätigt der Sprecher des Amtsgerichts Gießen, Dr. Dietrich Claus Becker. Er sagt aber auch, dass dies nicht zwangsläufig so sein muss, weil nicht immer ein Bezug möglich sei. Becker betont, in Hessen gebe es durch einen Erlass zur Verwendung der Geldbeträge transparente Kriterien, wer Begünstigter sein kann. Schmitt-Kästner sagt zudem, dass eine Überprüfung, wer davon profitiert, dann doch in einer gewissen Weise stattfindet. Denn Staatsanwaltschaft und Beschuldigter müssten dem zustimmen.

Staatsanwaltschaften haben klare Richtlinien, wem Geldauflagen zugutekommen. Wie der Gießener Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger erklärt, führe das Oberlandesgericht Frankfurt im Einvernehmen mit der Generalstaatsanwaltschaft eine gemeinsame Liste mit Einrichtungen, »die als Empfängerstelle von Geldauflagen in Betracht kommen können«. Wie Hauburger sagt, werde »regelmäßig versucht«, Bezug zum Tatvorwurf herzustellen. Wird ein Kind wegen eines fahrlässigen Verhaltens verletzt, könnte eine Geldzuwendung an den Kinderschutzbund gehen. Kontrolliert werde dies vom Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft; zudem sei oft die Zustimmung des Gerichts nötig.

Auch Tierschutz profitiert

Die von CORRECTIV.Lokal zur Verfügung gestellten Daten zeigen für die Wetterau eine enorme Bandbreite unterschiedlicher Organisationen, die zwischen 2007 und 2021 von den Geldauflagen profitiert haben. Auch die Höhe der Summen variiert deutlich. So sind beim Fliedner-Verein Butzbach (Gefangenenfürsorge) rund 618 000 Euro angegeben, beim Verein der Freunde der Stadtschule an der Wilhelmskirche Bad Nauheim 100 Euro. Relativ viel Geld - nämlich 322 482 Euro - floss an die Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) Echzell.

Im folgenden nun beispielhaft weitere Empfänger aus dem Landkreis: Frauen-Notruf Wetterau (84 720 Euro), Betreuungsverein im Diakonischen Werk Wetterau (58 855 Euro), Kaninchen-Meerschweinchen-Hilfe. Wetterau 36 000 Euro), der Tierschutzverein Butzbach und Umgebung (36 600 Euro, die Gefangenenhilfe Butzbach (35 448,50 Euro), der Verein »Frauen helfen Frauen Wetterau« (33 773 Euro), Tierheim Wetterau e.V. mit 24 422 Euro, der Verein »Wildwasser Wetterau« (18 120 Euro). Hospizhilfe Wetterau (14 000 Euro), Grüne Damen Wetterau (13 958 Euro), Diakonisches Werk Wetterau Betreuungsstelle Büdingen und Nidda (11 330 Euro), der Verein für soziales Engagement und Nachbarschaftshilfe Bad Vilbel mit 5000 Euro und der Tierschutz Karben (4 950 Euro).

 

 

Info: Kooperation

 

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation der Gießener Allgemeinen Zeitung mit CORRECTIV.Lokal. Das Netzwerk fördert Recherchen im Lokaljournalismus. In der neuen Spendengerichte-Datenbank von CORRECTIV können Sie rund 50 000 Einrichtungen durchsuchen, die von Gerichten und Staatsanwaltschaften gefördert wurden: correctiv.org/spendengerichte.

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